Oskar Rosenfelder erfand 1929 das Tempo-Taschentuch. Eine geniale Idee: hygienisch, modern, massentauglich. Er demokratisierte das Naseputzen, war seiner Zeit weit voraus – ein Innovator, Unternehmer, Jude. Und genau das war sein Todesurteil in der deutschen Geschichte. Die Nazis zwangen ihn, sein florierendes Unternehmen, die Vereinigten Papierwerke Nürnberg, für ein paar Reichsmark an den regimefreundlichen Gustav Schickedanz zu „verkaufen“. Schickedanz machte später mit Quelle Karriere, Rosenfelder musste ins Exil. Und dann? Totenstille.

Heute ist Tempo ein Alltagsprodukt, ein Stück deutscher Identität – erfolgreich, unschuldig verpackt. Doch wer kennt den Namen Rosenfelder? Wer spricht darüber, dass sein Werk auf geraubtem Boden weiterwuchs? Deutschland sicher nicht. Denn Rosenfelder ist der Stachel im Fleisch der glatten Erinnerungskultur, die sich selbst feiert, während sie jüdische Lebenswerke unter den Teppich kehrt.

Dabei war das Unrecht offenkundig – und blieb es auch nach 1945. Oskar Rosenfelder selbst brachte es 1947 auf den Punkt, als er sich über das Verhalten von Schickedanz empörte: „Schickedanz verhält sich uns gegenüber, als sei nicht der Dieb der Schuldige am Diebstahl, sondern der Bestohlene.“ Dieses Zitat ist mehr als eine persönliche Anklage – es ist ein Spiegelbild der deutschen Nachkriegshaltung. Der Täter saß fest im Sattel, der Beraubte musste um seine Rechte betteln. Und was kam dann? 1951 zahlte Schickedanz mehrere Millionen D-Mark an die Rosenfelder-Erben. Nicht aus Reue, sondern aus Notwendigkeit. Eine Zahlung, kein Schuldeingeständnis. Ein Ablass, damit Gras über die Sache wächst.

Die Millionen waren der Preis für Ruhe. Für das Schweigen über den Ursprung eines Imperiums. Für die Löschung eines Namens aus der öffentlichen Erzählung. Für die Bequemlichkeit derer, die weitermachten, als wäre nichts gewesen. Und so wurde Rosenfelders Geschichte nicht aufgearbeitet, sondern abgegolten. In D-Mark. Wie so viele jüdische Schicksale – behandelt als Schadensposition in der Bilanz deutscher Wirtschaftswunderjahre.

Die Wahrheit ist: Dieses Land hat nie wirklich Gerechtigkeit geschaffen. Es hat verwaltet, vertagt, verdrängt. Rosenfelder wurde enteignet, ausradiert – und das bleibt so, weil es bequem ist. Kein Denkmal, keine öffentliche Würdigung, keine Reparation im eigentlichen Sinne. Stattdessen: ein Schweigegeld. Denn die Millionen, die Schickedanz 1951 zahlte, waren kein Schuldeingeständnis, keine moralische Wiedergutmachung – sie waren der Preis für Ruhe. Ein Ablass, damit Rosenfelders Geschichte aus der Öffentlichkeit verschwindet und das Tempo weiterverkauft werden kann, als sei es vom Himmel gefallen.

Und das passt. Denn Tempo war schon immer ein Symbol für das typisch Deutsche im Umgang mit Schuld: schnell verbrauchen, sauber entsorgen, weitergehen. Das Produkt lebt, der Mensch dahinter wurde ausgelöscht. Nicht durch Zufall. Sondern durch System. Und durch eine Nachkriegsgesellschaft, die bis heute lieber schnäuzt als hinschaut.

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