Die europäischen Staatsanleihemärkte stehen unter massivem Druck durch steigende Renditen und wachsende Haushaltsdefizite. Im Vereinigten Königreich sind die Renditen langlaufender Gilts auf Mehrjahreshochs gestiegen (die 30-jährige Anleihe erreichte Anfang September 2025 5,72 %). Analysten weisen darauf hin, dass die britische Regierung inzwischen über 100 Mrd. £ pro Jahr nur für Zinszahlungen ausgibt – jeder weitere Renditeanstieg würde die öffentlichen Finanzen noch stärker belasten.
Auch in der Eurozone zeigt sich dieselbe Dynamik: Die Rendite 30-jähriger Bundesanleihen ist auf den höchsten Stand seit 2011 geklettert, französische Papiere erreichten Niveaus wie zuletzt 2009. In Frankreich verschärft die politische Instabilität die finanzielle Lage zusätzlich. Moody’s hat Frankreichs Bonität im Dezember 2024 auf Aa3 herabgestuft und vor einem „Himalaya an Defiziten“ gewarnt. In der Folge weitete sich der Risikoaufschlag zwischen zehnjährigen französischen und deutschen Anleihen – ein wichtiger Indikator für die Risikoprämie – auf rund 75–85 Basispunkte aus, ebenfalls ein Mehrjahreshoch. Kurz gesagt: Die Kernmärkte Europas preisen erhebliche Risiken ein. Renditen steigen, Ratingagenturen stehen unter Druck, und ausländische Investoren – traditionell Hauptkäufer britischer und französischer Staatsschulden – werden zunehmend nervös.
Der Ruf nach privaten Ersparnissen
Vor diesem Hintergrund haben führende Politiker offen die Idee ins Spiel gebracht, auf die Ersparnisse der Bürger zurückzugreifen. Deutschlands neuer Kanzler Friedrich Merz formulierte es unmissverständlich:
„Auf den deutschen Konten, Sparkonten und laufenden Girokonten liegen 2,8 Billionen Euro. Stellen Sie sich einmal einen kurzen Augenblick vor, wir wären in der Lage, davon nur zehn Prozent zu mobilisieren, mit einem vernünftigen Zinssatz, für die öffentliche Infrastruktur.“
Das war kein Versprecher, sondern ein bewusst gesetztes Signal – ein Testballon, um die Reaktion der Öffentlichkeit zu messen. Mit anderen Worten: Anstatt sich weiter zu immer höheren Kosten im Ausland zu verschulden, könnten die Staaten die eigenen Sparer zur Kasse bitten.
Tatsächlich diskutieren EU-Politiker bereits neue Wege, privates Kapital in strategische Projekte zu lenken. Ein Bericht des EU-Parlaments fordert ausdrücklich, privates Kapital für Verteidigungsausgaben und andere Prioritäten zu mobilisieren, und schlägt sogar die Gründung einer „Aufrüstungsbank“ vor, die die enormen Ersparnisse Europas für die Rüstungsindustrie bündelt. Zwar sind diese Konzepte bisher als freiwillige Anlageformen verpackt – doch die Botschaft ist klar: In einer Phase angespannter Anleihemärkte stehen die Ersparnisse der Bürger im Fokus.

Auch Stimmen aus den Institutionen weisen in diese Richtung. Quellen aus der EZB betonen, dass nach dem Rückzug der Zentralbank vom Anleihekauf „der Privatsektor in zunehmendem Maße neue Staatsanleihen absorbieren“ müsse. Mit anderen Worten: Wenn ausländische Käufer ausbleiben, sollen heimische Banken und Fonds einspringen. Während einige Analysten meinen, die Märkte könnten das verkraften, warnen andere, dass anhaltender fiskalischer Stress die Politik zu direkteren Maßnahmen zwingen könnte. Sogar Bundesbank-Präsident Joachim Nagel erklärte, „außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“ – eine implizite Offenheit für unkonventionelle Finanzierungen. Zugleich betonte er jedoch, dass „größerer Spielraum für Schulden allein das schwache Wachstum Deutschlands nicht beheben wird“.
Historische Präzedenzfälle: Wenn Staaten die Bürger zur Kasse bitten
Die Geschichte liefert zahlreiche Beispiele dafür, was passiert, wenn Regierungen in Geldnot auf ihre Bürger zurückgreifen:
• Erster Weltkrieg: Deutsche Bürger wurden mit Plakaten und Reden gedrängt, Kriegsanleihen als „heilige Pflicht“ zu zeichnen. Nach dem Krieg machte die Hyperinflation die Papiere praktisch wertlos – ein versteckter Staatsbankrott. (In Wahrheit war die Hyperinflation auch ein stiller Schuldenschnitt für diese Anleihen.)

• Zweiter Weltkrieg: Um die Abwehrhaltung der Bevölkerung zu umgehen, führte das NS-Regime die „stille Kriegsfinanzierung“ ein. Sparkassen mussten Kundeneinlagen ungefragt in Reichsanleihen umlenken – die Menschen bemerkten nichts, doch ihre Ersparnisse waren längst in der Kriegsmaschine gebunden. Ein Historiker sprach treffend vom „finanziellen Äquivalent eines Leichenräubers“: Das Vermögen wurde entwendet, ein wertloser Schuldschein blieb zurück.

• Zypern 2013: Im Zuge des Bankencrashs wurden Einlagen über 100.000 € per Gesetz in Bankaktien oder Staatsschulden umgewandelt – bis zu 47,5 % gingen verloren. Ein Abgeordneter sprach von einem „Gewehr an der Schläfe“.
• Argentinien 2001/02: Die Regierung fror Bankkonten ein, beschränkte Bargeldabhebungen und wandelte Einlagen in langlaufende Anleihen um. Die Bevölkerung reagierte mit Massenprotesten – viele verloren ihr Vermögen, da diese Papiere rasch an Wert verloren.
Diese Fälle zeigen: In der Not machen selbst Demokratien vor Zwangsmaßnahmen nicht halt. Mit dem Verweis auf Krieg, Krise oder „Solidarität“ wird privates Vermögen schnell zur Notreserve des Staates.
Aktuelle Warnungen von Institutionen
Internationale Finanzorganisationen sind sich der Gefahr bewusst. Der IWF warnt, „hohe Schulden und fehlende glaubwürdige Finanzpläne“ könnten heftige Marktreaktionen auslösen und die Handlungsspielräume der Staaten massiv einengen. In seinen Berichten heißt es, die globale Staatsverschuldung nähere sich historischen Höchstständen von über 100 % des BIP, während der politische Druck eher für höhere Ausgaben als für Konsolidierung spreche.
Auch Europas Notenbanker äußern sich besorgt. EZB-Direktorin Isabel Schnabel erklärte jüngst, die Märkte hätten die Risiken bereits eingepreist. Die Reaktion sei bislang „geordnet“, könne sich jedoch schnell verschärfen. Jeder Angriff auf die Unabhängigkeit der Notenbanken oder extreme Finanzpolitik drohe, die langfristigen Zinsen weiter nach oben zu treiben.
In Brüssel wiederum gewinnen Pläne zur Gründung einer supranationalen „Aufrüstungsbank“ an Boden. Sie soll nationale Garantien bündeln und private Ersparnisse für die militärische Industrie mobilisieren – „freiwillig“, versteht sich. Doch der Subtext ist klar: Europas Politik tastet sich Schritt für Schritt an die Einbeziehung des Vermögens ihrer Bürger heran.

Die Vermögensaufteilung der Haushalte ist in den EU-Ländern unterschiedlich:

Das geopolitische Risiko: Krieg als Vorwand
Besonders heikel ist die geopolitische Dimension. Ein neuer Schub im Ukraine-Krieg oder eine andere Sicherheitskrise könnte als Hebel dienen, um Opferbereitschaft einzufordern. Schon jetzt sprechen Politiker von „Kriegswirtschaft“ und „nationaler Mobilmachung“. Wer in der Geschichte zurückblickt, erkennt das Muster: Krieg ist das stärkste Argument, um Vermögen in den Dienst des Staates zu stellen.
Auch in Friedenszeiten tauchen die Signale auf. EU-Beamte sprechen offen über gemeinsame Militärschulden, die EZB fordert Vorbereitung, und Sparer erinnern sich an Zypern und Argentinien. Erste Umfragen zeigen: Viele bevorzugen Bargeld zuhause als Versicherung gegen einen möglichen Zugriff.
Fazit: Die Geschichte mahnt
Die europäische Staatsschuldenkrise steht an einem Scheideweg. Die Anleihemärkte reagieren bereits sichtbar – mit steigenden Renditen, Abstufungen und wachsender Nervosität. Die Regierungen stehen vor einer Wahl: sich zu immer höheren Kosten an den Märkten verschulden oder die eigenen Bürger in die Pflicht nehmen. Letzteres mag als patriotische Pflicht verkauft werden – „Anleihen kaufen, Europa verteidigen“ –, doch die historischen Risiken sind unübersehbar.
Kriegsanleihen, stille Zwangsfinanzierungen, Zypern-Bail-ins und das argentinische corralito zeigen: Die Versprechen von Solidarität können sich rasch in Zwang verwandeln. Der IWF und europäische Notenbanker warnen bereits, dass wir uns in einer fragilen Phase befinden. Sollte sich die Rhetorik verschärfen, könnten Europas Regierungen sehr schnell zur „Börse der kleinen Leute“ greifen – zum Sparbuch.
Bürger, Unternehmen und Investoren täten gut daran, diese Warnungen ernst zu nehmen. Denn wenn der Staat einmal beginnt, auch nur „zehn Prozent“ der Ersparnisse mobilisieren zu wollen, ist der Schritt von Freiwilligkeit zu Zwang kleiner, als viele glauben.

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