Zehn Jahre nach dem Start der „IT-Konsolidierung Bund“ und der „Netze des Bundes“ zieht der Bundesrechnungshof (BRH) eine Bilanz, die man kaum anders als vernichtend bezeichnen kann. Die Bundesregierung habe es bis heute nicht geschafft, so heißt es im Bericht, „die dafür nötigen Stellschrauben vollständig zu justieren“. Das Großprojekt, das Deutschland zum digitalen Vorreiter machen sollte, ist in Wahrheit ein Mahnmal für fehlende Strategie, politische Blockaden und systematische Verschwendung von Steuermitteln.
Fehlende Strategie: Digitalisierung ohne Kompass
Eines der schwerwiegendsten Probleme ist die völlige Orientierungslosigkeit der Bundesregierung. Der Rechnungshof schreibt: „Bisher fehlt der Bundesregierung ein vollständiges Zielbild der IT des Bundes.“ Zwar wurde 2022 ein Prozess für eine neue IT-Strategie angestoßen, doch neun von zehn Handlungsfeldern sind bis heute nicht konkretisiert – darunter zentrale Themen wie digitale Souveränität, Resilienz und Sicherheit, digitale Infrastruktur.
Besonders brisant: „13 von 18 Ressorts konnten keine eigene IT-Strategie vorlegen.“ Einige Ministerien arbeiten bis heute ohne jede strategische Grundlage, andere stützen sich auf Konzepte von 2017, die längst veraltet sind. Der BRH warnt: „Es besteht die Gefahr, dass Ressorts andere Prioritäten setzen, als es die IT-Strategie des Bundes vorsieht.“ Mit anderen Worten: Jedes Ressort kocht sein eigenes Süppchen – ein klarer Widerspruch zum Ziel einer einheitlichen Bundes-IT.
Rechenzentren: Das gescheiterte Kernziel
Die Bundesregierung versprach 2015, die über 1.300 Rechenzentren und Serverräume auf wenige zentrale Standorte zu reduzieren. Doch daraus wurde nichts. Wörtlich heißt es im Bericht: „Das ursprüngliche Ziel […] will die Bundesregierung nicht mehr erreichen.“ Statt klarer Vorgaben gibt es heute Prüfverfahren, in denen Behörden selbst entscheiden, ob sie ihre IT konsolidieren.
Die Folge: Milliarden fließen, ohne dass die Strukturen schlanker werden. Schon 2019 musste das Projekt neu organisiert werden, weil die Ausgaben von ursprünglich einer Milliarde Euro auf über drei Milliarden explodierten. Heute steht fest: Der Bund zahlt – aber echte Fortschritte bleiben aus. Der Rechnungshof konstatiert: „Auch nach mehr als zehn Jahren IT-K Bund fehlt die Grundlage, um den Erfolg der bisherigen Konsolidierung zu messen.“
Netze des Bundes: Sicherheitsrisiko statt Rückgrat
Die „Netze des Bundes“ sollten eine hochsichere Kommunikationsplattform für Verwaltung und Behörden sein. Stattdessen dokumentiert der BRH gravierende Mängel: „Wesentliche Komponenten der NdB sind veraltet und erhalten keine Sicherheitsupdates mehr.“ Noch schwerer wiegt: Bereits 2018 war klar, dass viele angeschlossene Behörden die Sicherheitsauflagen nicht erfüllen. Doch 2025 erfüllen immer noch 52 von 106 Behörden die Mindeststandards nicht.
Trotzdem bleiben sie angeschlossen – eine offene Flanke in der Sicherheitsarchitektur des Staates. Der BRH urteilt: „Die Bundesregierung hat es bislang nicht geschafft, die Einhaltung der Nutzerpflichten in allen Behörden sicherzustellen.“ Parallel steigen die Kosten: Für den Umbau zu einem „Informationsverbund der öffentlichen Verwaltung“ sollen bis 2030 weitere 1,3 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Kritiker sprechen bereits von einem Milliardengrab mit Ansage.
Gremienchaos: Blockade statt Steuerung
Besonders entlarvend ist die Analyse der Steuerungsstrukturen. Schon 2016 wurden mit IT-Rat, CIO-Board und Lenkungsausschuss neue Gremien geschaffen. Doch anstatt Entscheidungen zu beschleunigen, haben sie Prozesse lähmt. Der BRH schreibt: „Unter den Voraussetzungen des Einstimmigkeitsprinzips drohen lähmende oder verzögernde Pattsituationen.“
Ein Beispiel: Schon 2019 beschlossen die Ressorts, eine Nachfragemanagementorganisation (NMO) aufzubauen, die IT-Beschaffungen zentralisieren sollte. Doch über Jahre stritt man sich, ob dieses Steuerungsgremium operativ oder strategisch handeln solle. Erst 2024 wurde überhaupt eine Geschäftsordnung beschlossen – fünf Jahre nach Start. Der Rechnungshof urteilt nüchtern: „Die bisherige Struktur birgt die Gefahr, dass Abhängigkeiten nicht erkannt, Entscheidungen nicht schnell genug getroffen und Zielkonflikte nicht aufgelöst werden.“
Controlling: Blindflug mit Milliarden
Noch gravierender ist das völlige Versagen beim Controlling. Bereits 2014 forderte der Bundestag ein zentrales IT-Controlling. Doch bis heute existiert kein funktionierendes System. Der BRH bemängelt: „Der Bundesregierung ist es bislang nicht gelungen, ein effektives und effizientes zentrales IT-Controlling aufzubauen.“
Selbst vorhandene Daten – etwa zu Vergaben und Haushaltsmitteln – werden nicht genutzt. Stattdessen werden Kennzahlen so verändert, dass sie wenig aussagekräftig sind. So wurde der ursprüngliche Indikator „Nutzungsgrad zentraler IT-Lösungen“ ersetzt durch die bloße Zahl der Rollouts. Damit weiß das Innenministerium heute nicht einmal, wie viele Beschäftigte die Systeme tatsächlich nutzen. Der BRH hält fest: „Nach mehr als zehn Jahren fehlt der Bundesregierung die Grundlage, um den Erfolg der IT-K Bund zu messen.“
Externe Berater: Abhängigkeit mit Risiko
Ein weiteres alarmierendes Detail: Zwischen 2018 und 2022 gab das Innenministerium fast 28 Millionen Euro für externe Berater aus – bei Tagessätzen von bis zu 1.100 Euro. Besonders brisant: Selbst das Finanzcontrolling, eine zentrale Kernaufgabe, wurde an Externe ausgelagert. Der BRH mahnt: „Dies kann die Verwaltungsintegrität gefährden.“
Damit wird deutlich: Die Bundesregierung hat es jahrelang versäumt, eigenes IT-Fachpersonal aufzubauen. Stattdessen herrscht Abhängigkeit von externen Firmen, die nicht selten eigene Interessen verfolgen. Während intern Personal fehlt, profitieren externe Berater – auf Kosten der Steuerzahler.
Finanzlücken und Fehlallokationen
Hinzu kommen massive Haushaltsprobleme. Laut Bericht fehlen allein 2025 116,6 Millionen Euro für IT-Lösungen und weitere 11,8 Millionen Euro für den Aufbau der NMO. Projekte wie „GS/Ex“, ein Notnetz für Behörden mit schwachen Sicherheitsstandards, haben schon über 50 Millionen Euro verschlungen, ohne dass eine einzige zentrale IT-Lösung verfügbar ist. Der Rechnungshof warnt: „GS/Ex droht zur Investitionsruine zu werden.“
Auch die Abhängigkeit von einem Generalunternehmer beim Betrieb der Netze konnte nicht beendet werden, obwohl hierfür bereits 250 Millionen Euro gezahlt wurden. Die Bundesanstalt für den Digitalfunk (BDBOS) bleibt auf dessen Beschäftigte angewiesen. Der BRH urteilt: „Die Bundesregierung hat es nicht geschafft, die Abhängigkeit zu beenden.“
Fazit: Ein Staatsversagen mit Ansage
Die Diagnose des Bundesrechnungshofes ist eindeutig: Nach einem Jahrzehnt sind die Projekte IT-K Bund und Netze des Bundes weitgehend gescheitert. In klaren Worten heißt es: „Die Bundesregierung wollte mit der IT-Konsolidierung eine leistungsfähige, sichere, wirtschaftliche und zukunftsfähige zentrale IT aufbauen. Sie hat es bis heute nicht geschafft, die dafür nötigen Stellschrauben vollständig zu justieren.“
Was als Modernisierung begann, ist zu einem Symbol des digitalen Stillstands geworden. Milliarden sind versenkt, ohne dass die Verwaltung spürbar moderner oder sicherer wäre. Für den Bundesrechnungshof bleibt nur ein Schluss: Ohne radikalen Strategiewechsel wird die digitale Verwaltung auch in den kommenden Jahren eine Baustelle bleiben – teuer, unsicher und ineffizient.
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